Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
Vor fast genau 100 Jahren, am 09. November 1923, versuchte Adolf Hitler, der spätere „Führer“ des „Dritten Reiches“ und verantwortlich für den Tod von mehr als sechs Millionen Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und vielen anderen Menschen, die nicht seinem Ideal des „Volksdeutschen“ entsprachen, mit dem so genannten „Marsch auf die Feldherrenhalle“ in München, den wir allgemein heute unter dem Namen „Hitler-Putsch“ kennen, den Ausgangspunkt für die Machtübernahme in München und danach in Berlin zu setzen. Doch der Putsch scheiterte kläglich. Hitler wurde gefangen genommen, Ludendorff, einer seiner Mitstreiter und Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg, konnte fliehen, andere wurden erschossen.
Nur 10 Jahre später, am 30. Januar 1933, stand Adolf Hitler als Reichskanzler an der Spitze des Staates und begann nach und nach, die Macht an sich zu reißen. Neben verschiedenen Gesetzen, brutalen Übergriffen durch die SA und die SS, war es vor allem die Propaganda, die Hitler bis zu seinem Tod 1945 zum uneingeschränkten Herrscher machen konnte. Dabei setzten er und seine Getreuen vor allem auf Massenveranstaltungen, wie die „Reichsparteitage“ in Nürnberg, die bereits vor der so genannten „Machtergreifung“ 1933 in der legendären „Kaiserstadt“ stattgefunden hatten und bis kurz vor Kriegsausbruch jährlich Millionen Menschen nach Nürnberg brachten. Reste des Geländes rund um das Zeppelinfeld und den Dutzendteich sind noch heute zu sehen und in Teilen auch noch zu besichtigen. Doch wie soll man, heute, in einer Zeit, in der mit der AfD die Rechte immer stärker wird, mit diesem schweren Erbe umgehen? Soll man all das, was in Nürnberg noch immer zu sehen ist, abreißen? Soll man die Bauten sanieren und konservieren oder einfach kommentieren oder sie gar neu nutzen? All diese Fragen stellt sich die Stadt seit Jahrzehnten.
Um eine historisch fundierte und vor Ort wichtige Darstellung bemüht sich seit vielen Jahren der Verein „Geschichte für Alle“. Dieser bietet nicht nur Führungen in Nürnberg an, sondern hat auch 2017 ein Buch veröffentlicht, welches mittlerweile als Standardwerk zum Thema „Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg“ angesehen ist.
In diesem Buch haben die Historikerinnen und Historiker rund 500 Fotos zusammengetragen, Quellenmaterial gesichtet und umfangreiche Recherche betrieben, um ein Bild von den Reichsparteitagen zu geben, hinter die Kulissen zu blicken, in Ansätzen zu zeigen, wie diese Parteitage überhaupt stattfinden konnten und auf derartige (scheinbare) Zustimmung zu stoßen und wie mit dem historischen Erbe auch künftig umgegangen werden soll.
Dabei gehen die Autoren und Autorinnen zunächst in 14 Stationen über das Gelände und orientieren sich dabei an den Stationen, die vor Ort beschildert und mit kurzen Texten versehen wurden. Vom Luitpoldhain über die Kongresshalle, das „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ und die „Große Straße“ bis hin zum „Märzfeld“ und der „Zeppelintribüne“ werden alle wichtigen Stationen vorgestellt.
Im Anschluss zeigen die Historikerinnen und Historiker auf, wie die Reichsparteitage abliefen und versuchen, das Ritual einer solchen gigantischen Veranstaltung zu analysieren. Darüber hinaus stellen sie Akteure, politische Gegenspieler und Unterstützende vor, aber auch die „Nürnberger Gesetze“, das Deportationslager im heutigen Stadtteil Langwasser und die propagandistische Umsetzung der Reichsparteitage.
Kapitel drei befasst sich mit der „Architektur und Stadtplanung am Dutzendteich“. Hier wird gezeigt, wie das Gelände vor 1933, in der Weimarer Republik, aussah und wie es genutzt wurde, wie es dann ab 1933 unter anderem von Albert Speer umfunktioniert wurde und wie die Infrastruktur rund um das Gelände entstanden ist.
Im vierten Kapitel steht dann der Umgang mit dem Gelände seit 1945 im Mittelpunkt. Hier werden die Themen Tourismus, historische Bildung auf dem Reichsparteitagsgelände sowie der Umgang mit dem Gelände ab 1945 aufgezeigt. Von der Nutzung des Geländes für DTM-Rennen und Konzerte über Planungen bis zu Visionen für die Nutzung und Gestaltung in der Zukunft werden die vielfältigen Möglichkeiten ausgiebig beleuchtet.
Das Buch schließt mit einem Personenregister, Bildnachweisen, Anmerkungen sowie einem sehr ausführlichen Literaturverzeichnis.
Fazit: „Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg“ ist ein nicht nur für Historikerinnen und Historiker, sondern auch für alle Interessierten ein beeindruckendes Werk, das sich - wie kaum ein anderes - mit der Geschichte der Reichsparteitage in Nürnberg, dem Gelände und allem, was im Kontext stand (und steht) kritisch auseinandersetzt. In seiner 5. vollständig überarbeiteten Auflage bietet es (bis auf die Aufnahme des Bahnhof Dutzendteich in die Führung) einen aktuellen Überblick. Da ab 2025 weitere Maßnahmen im Hinblick auf die künftige Nutzung und Sanierung des Geländes beginnen sollen, wird natürlich auch dieses Werk angepasst werden, um auch künftigen Leserinnen und Leser einen Eindruck zu vermitteln.
Titel: Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
Autor: Alexander Schmidt / Bernd Windsheimer
Verlag: Sandberg
Auflage: 4. Auflage 2017
ISBN: 978-3-930699-91-9
Die inn-joy Redaktion bedankt sich beim Sandberg Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.
M. Heiland